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 Heel- Zapfen

Zapfenfieber ( am Ostsporn der Roten Platte)

November 99:

Trotz allmählich schwer werdender Beine stapfe ich doch zügig weiter über das braune Mergelgeröll und wähle eine direkte Linie hinauf ins oberste Langkar. Oft schon habe ich mich hier oben, nach gut 2 Stunden Fußweg, gerne vom Anblick der greifbar nahen Plattenschüsse der Freispitz – Südwand zu einem kleinen Halt verleiten lassen, um den Verlauf der Kletterrouten nachzuvollziehen oder jungfräuliche Felszonen zu imaginären Routenlinien zu verbinden. Obwohl das klare Spätherbstlicht der Rätkalkflucht heute ein besonders anziehendes Aussehen verleiht, gönne ich mir diesmal keinen Halt, denn mich treibt die Neugier vorwärts: „Von wem stammen die gefrorenen Fußspuren im Zustiegsweg und warum ist hier oben kein Mensch zu sehen“?

Erst als Dieter und ich uns schon bis auf wenige Minuten unserem Materialdepot – nahe einem großen Felsbrocken im Mergelgeröll – genähert haben, erkennen wir ein Lebenszeichen; hinter dem kleinen Steinwall am Block taucht ein Gesicht auf. Gleich darauf können wir erkennen: Es ist Rainer Treppte aus Immenstadt, und er ist allein hier. “Nur aufräumen und ein bißchen schauen“ ist die Antwort auf unsere Frage, was er allein hier heroben treibe, und die Gegenfrage lautet: „Wollt´s auch ´n Kaffee?“

Während wir den ungewöhnliche Service in der menschenleeren Welt der herbstlichen Lechtaler Alpen genießen, berichtet uns Rainer, dass das luxeriös ausgebaute Biwakplätzchen ein Relikt ist von der Fertigstellung seiner neuen Route im Sommer. Sie verläuft gegenüber der Freispitz an einer Wand, die gebildet wird von einem schmalen Ausläufer der Roten Platte. Die Wand erreicht zwar nur knapp die halbe Wandhöhe der Freispitz –Südwand, ist aber deutlich steiler, der Fels kompakt und nur wenig gegliedert.

Beim Zustieg zur Freispitze haben auch wir sie schon oft betrachtet. Im Profil zur senkrechten Kante einer spitzen Felsnadel verkürzt, bildet sie Dank ihres dunklen Gesteins einen eindrucksvoller Kontrastpunkt zur hellen, sonnenüberfluteten Freispitze. Aber wohl wegen der Nachbarschaft zur Sonnenwand hatten die Kletterer die dunkle Schattenwand immer links liegen gelassen.

Aufmerksame Beobachter aber konnten eigentlich seit jeher eine weit hin- und her mäandernde Linie ausgebleichter Fixseile im linken unteren Wandteil entdecken. Diese Fixseile stammen von einem frühen Versuch der Brüder Heel, den diese ersten Freispitz - Pioniere schon in den Sechziger Jahren unternommen hatten. Sie hatten – zusammen mit M. Schreck – als Entdecker der Freispitzwand dort ihre Spuren hinterlassen und dabei die Schafgufel weiter unten im Kar zu ihrem zweiten Zuhause ausgebaut. Diesen Stützpunkt nutzten sie dann auch zu einem Erstbegehungsprojekt an besagter Nordwand. Die große Begeisterung, die die Ostallgäuer diesem Winkel entgegenbrachten, dokumentiert sich auch jetzt noch in perfekt geschlagenen, selbstgeschmiedeten Normalhaken und sorgfältig verspannten Fixseilkonstruktionen. Seitdem wurden diese Seile aber nicht mehr angerührt.

Rainer zeigt uns die Linie seiner neuen Tour, ein Streifen schwarzen kompakten Gesteines, der sich in beeindruckender Steilheit zwischen gelben Überhangzonen rechts der Fixseile durchzieht. Er berichtet uns begeistert von bester Felsqualität, griffigen, rauhen Strukturen und von oftmals bizarren, braunen Felseinlagerungen, die auch in kompakter, leicht überhängender Wand gerade noch ein freies Klettern ermöglicht hatten.

Als Dieter und ich – nachdem wir diesen Spätherbsttag in der Sonnenwand verbracht hatten – wieder unsere Seile im Depot verstauen, ist Rainer schon längst weg. Diesmal bleiben wir im ersten Stück des Abstiegs öfters stehen und starren nach oben, jetzt aber in die linke, dunkle Wand. Die Bemerkung: “Anschauen sollte man sich das schon mal“ und ein paar halbherzige Prognosen, wo wohl ein Durchstieg auch mit unserem Kletterkönnen möglich sein könnte, sind die Ergebnisse unserer Betrachtungen. Dann wenden wir unsere Aufmerksamkeit dem langen Weg durchs Parseiertal zu. Am nächsten Tag suche ich noch in einigen Diakisten nach brauchbaren Bildern von der Wand – vergebens. So bleibt das begeisterte Leuchten in Rainers Augen die ergiebigste Inspiration für Kletterträume in einem langen Winter.

 

August 2000

Etwas zögerlich starte ich in die ersten Meter vom Stand weg hinein in die kompakte steile Wand. Zwar haben uns die bisher gekletterten Seillängen – die supergriffige Einstiegswand und eine überhängende Rissverschneidung - schon von der Felsgüte überzeugt, doch richtig spannend wird es jetzt erst hier oben, wo die Wand geschlossen nach oben zieht. Noch mitten in der Nacht waren wir aufgebrochen, um die Wand im Sonnenlicht studieren zu können. Doch auch bei optimaler Beleuchtung sind viele Rätsel geblieben, die sich wohl nur durch „handgreiflichen“ Kontakt werden lösen lassen.

Voll Freude registriere ich die Tatsache, dass sich immer wieder überraschend gute Griffmöglichkeiten finden. So traue ich mich auch ohne Zwischensicherung ein paar Meter ins Unbekannte vorzudringen. Schließlich tut sich unter einem glatten Wulst ein schönes Felsloch auf, in das sich die Hartstahlklaue des Cliffhängers bereitwillig einkrallt. Der recht solide Sitz dieses sonst oft launischen Hilfsmittels erlaubt es, die Bohrmaschine ohne all zu großen Stress hochzuziehen. Der neugesetzte Bohrhaken beruhigt, verleiht neuen Elan und am ansonsten griffarmen Wulst klebt einer dieser braunen, holzartigen Felseinschlüsse. Als kleines, aber scharfes Leistchen bildet er die rettende Brücke zur nächsten Folge kletterfreundlicher Strukturen. 4 Bohrhaken markieren schließlich den Weg durch den kleinen Ausschnitt dieser vertikalen Welt, als es Zeit ist für einen Rollentausch; Dieter lässt mich zum Stand ab.

 

2 Tage später:

Während Dieter sich mit dem ganzen Erschließungs- Klimbim behängt, richte ich mich am Stand bequem ein und lasse die Blicke schweifen. Unter mir gelbe Überhänge, das Restseil baumelt frei in der Luft. Nur nach schräg links unten verläuft ein etwas geneigter, schwarzer Felsstreifen. Zum Beginn dieser Rampe hatte uns der erste Tag geführt und dabei eine Traumseillänge beschert; 50 steile Meter voller überraschend auftauchender Schlitze und Henkel.

Mittlerweile klettert Dieter über einer wulstige Passage, erreicht meinen letzten Umkehrpunkt. Hatten wir bis zum Stand durch die Kontaktstellen mit den alten Fixseilen des alten Heel- Versuches eine relativ eindeutige Richtungsvorgabe, ist nun eine weitreichende Entscheidung zu treffen: Sollen wir die nach rechts lockenden griffigen Felsstreifen missachten, stattdessen uns immer schräg links halten, um vielleicht dort die großen Gipfelüberhänge besser austricksen zu können?

Als Dieter schließlich nach links in eine kompakte Plattenpassage hineinquert, belastet ihn nicht nur die momentane Griffarmut, sondern auch die Frage, ob unsere Entscheidung für die Linksvariante richtig ist. Die Antwort werden wir vermutlich erst ganz oben erhalten. Doch trotz der Anspannung genießen wir auch die Ungewissheit, denn wir empfinden es als Privileg, in unseren vermeintlich übererschlossenen Alpen Pioniergeist und Abenteuerlust ausleben zu können.

 

Eine Woche danach:

Die Ungewissheit hatte uns nicht lange ruhen lassen, wie ein Magnet hatte uns die Wand wieder hierher gezogen. Diesmal drückte der Rucksack noch ein bißchen stärker, denn im Gepäck sind Biwakausrüstung und zusätzliche Akkus für die Bohrmaschine; wir wollen zwei Tage hierbleiben.

Nach allerlei Geschleppe, Gezerre und Gebohre sind wir schon hoch oben in der Wand und ich verlasse gerade den letzten von Dieter gesetzten Haken. Gute Grifflöcher bringen mich schnell unter ein kleines Dächlein in einer seichten Verschneidung. Verzweifelt suche ich die Felsoberfläche über dem kleinen Dach nach einer Cliffmöglichkeit ab, kann aber keine entdecken. Immer mehr verkrampfende Unterarme verlangen nach einer schnellen Entscheidung. Obwohl die letzte Sicherung nicht weit weg ist, will ich diesen Wulst auf keinen Fall ohne neue Sicherung klettern. Schließlich drücke ich eine dünne Reepschnur auf einen kleinen erodierten Felszacken und belaste vorsichtig die Schlinge. Die Reepschnur dehnt sich unter der Belastung und der Zacken knackt etwas, doch das Ding hält - vorerst. „Jetzt noch die Maschine holen und Bohren.......“

Erleichterung macht sich breit, als der Haken im Bohrloch steckt und endlich das Seil in die Hakenlasche geklinkt ist. Ich entspanne etwas und lasse den Hammer an der Hammerschnur zurückgleiten, da ein Schrei.....

Gebannt folge ich der Flugbahn von Hammer und Gabelschlüssel, bis sie wenige Meter vom Wandfuß entfernt zum ersten Mal an den Fels aufschlagen. Irgendwie hatten sich die beiden Teile vom Materialkarabiner ausgehängt.

Einerseits fasziniert mich diese Demonstration der Wandneigung, aber es ist auch klar, daß wir damit zum Rückzug gezwungen sind – trotz einer vollen Akkuladung und genügenden Zeitpolsters. Beim Rückzug dauert es noch einige Zeit, bis der Ärger über das Mißgeschick verraucht ist. Schließlich überwiegt aber positives Denken, wir haben noch einen Tag und die Routenwahl scheint richtig gewesen zu sein, denn die fehlenden Meter zur Kante machen einen kletterbaren Eindruck..

 

(Vorläufig) letzter Akt:

Frühmorgendlicher Einstieg wird durch mehrere Seillängen im Sonnenschein belohnt. An einigen Stellen montieren wir noch nachträglich Haken, in die am Vortag gebohrten Löcher, ansonsten genießen wir schon Kletterfluss. Dieter lässt mir oben nochmals den Vortritt.

Das Dächlein entpuppt sich selbst mit Haken am Bauch als zähe Stelle und auch der Weiterweg ist ziemlich spannend, aber von erlesener Güte. Schließlich rette ich mich mit einem kleinen Runout auf einen winzigen Absatz knapp neben der Kante und baue den Standplatz.

Wenig später verschwindet Dieter nach links um die Ecke, vermeldet, dass hier die eigentliche Route wohl zu Ende sei. Da wir aber wissen, dass Rainer Treppte bei seiner Route wegen brüchiger Ausstiegszone vor Erreichen des Grates umgedreht hat, treiben Neugier und Reste von alpinistischen Veranlagungen Dieter den brüchigen Grat weiter hinauf.

Mit einem eigenartigen, etwas nostalgischem Gefühl füge ich ein paar eingesammelte Felsbrocken zu einem Steinmann zusammen, bevor ich meine müden Knochen auf der kleinen Grasnische am Grat niederlasse. Ungewöhnlich lang bleiben wir, kosten diese kleine Oase am höchsten Punkt richtig aus: Zwar ist dieser Höcker nur wenig über den scharfen Gratverlauf zur Roten Platte erhaben. Da sich dieser Zacken aber vom gesamten Hochtal so markant präsentiert, beschließen wir, dass es sein hoher alpinistischer Anspruch ist, der uns hier zu „Erstbesteigern“ macht und nicht seine geomorphologische Bedeutungslosigkeit.

Schließlich verschwinden wir wieder, da wir oben noch die Abseilpiste präparieren müssen. Der Suche nach einem idealen Startpunkt für´s Abseilen entspringt dann noch eine grandiose, überhängende Ausstiegsvariante, das Finale furioso für unsere Tour, und eine äußerst eindrucksvolle erste Abseillänge.

Eigentlich wäre jetzt totale, wunschlose Zufriedenheit angesagt. Angesichts des breiten Streifens jungfräulichen Felsens rechts von unserem Weg hält dieser Zustand aber nicht einmal zwei Abseillängen an. Schon wandern die Blicke prüfend hinüber, taxieren Felsgüte und Griffangebot...... aber das ist eine andere Geschichte.  

 

Nachtrag: Februar 2002-

Die ersten Kapitel dieser „anderen Geschichte“ wurde noch im gleichen Jahr geschrieben und im nächsten Frühsommer war die neue Tour “Ohne Heel und Tadel” in unmittelbarer Nähe der „Diebstahl und Heelerei“ schnell fertiggestellt. Felsgüte und Kletterfreundlichkeit enttäuschten unsere hochgesteckten Erwartungen nicht. Allerdings -während wir dort zu Gange waren, entdeckten wir natürlich schon wieder weitere, einladende Streifen jungfräulichen Gesteins rechts der “Zone 40” von Rainer Treppte – das „Zapfenfieber“ hatte uns gepackt. Und als das Fieber durch einen unvorhergesehen Regenvormittag ziemlich abgekühlt war, musste auch daneben noch der Fels auf  seine Begehbarkeit hin untersucht werden. Seit August 2001 sind jedoch erst mal die Bauarbeiten zum Erliegen gekommen, teils bedingt durch Wetter, teils durch mangelnde Einsatzfähigkeit des Autoren. 

irreperspektive

Der obere Teil der Wand im Profil

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Die beeindruckende Schlusslänge von “Diebstahl und Heelerei”

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Am Morgen steht die Wand im Sonnenlicht

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die 4. SL vor dem Linksquergang

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Die 5 Sl  von “Ohne Heel und Tadel”.kurz nach dem Gemeinsamen Standplatz

mehr Bilder vom Heel- Zapfen:
Kletterbilder Zapfen

wie es weiterging:
“Zone 90”