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 Reve corse

Ascotal - Petit Colonne de Marcia - Westpfeiler - Reve corse, 7-   - 1. Beg 08/86

Ziemlich verrenkt und wacklig stehe ich in der kompakten Wandstelle, kann dann doch irgendwie weitergreifen, die ertastetet Noppe aus dieser Stellung aber nicht recht nutzen und muss mich deshalb den gewonnenen Meter wieder zurückzittern auf eine schmale. exponierte Leiste. Hier stehe ich nun wieder auf ihrem äußersten linken Ende, unter mir Überhänge, doch trotz des misslungenen Versuchs verlässt mich dieses sichere Gefühl nicht. Ich bin zwar neugierig, was diese Route noch alles an Kletterstellen für uns bereithalten mag,  spüre aber rein intuitiv, dass wir sie klettern können, dass wir hier richtig sind. Es ist, als ob der Weg schon da wäre, nur darauf wartete, von uns entdeckt, gefunden und erlebt zu werden. Vielleicht ist diese Sicherheit aus den schon gekletterten Seillängen entstanden. Schon die ersten beiden deuteten an, was  die dritte zu bieten haben würde; eine Platte mit Kletternoppen, eine kurze Knobelver- schneidung, maßgeschneiderte Schwierigkeiten, für Granolit untypische Finger- löcher genau dann, wenn es nicht mehr weiterzugehen schien, Klemmkeil- möglichkeiten und eine Sanduhr verringerten im richtigen Moment die Tiefe, tafoniartige Auswaschungen -in diesem Gestein normalerweise nicht zu finden -leiteten überraschend durch eine Überhangzone und zum bequemen Standplatz. So passte alles viel zu gut zusammen, als dass unser Weg nun auf dieser Leiste in einer Sackgasse enden könnte.Wahrscheinlich ist es aber auch hier und jetzt Aberglaube, der mir einflüstert, dass alles immer einen Sinn haben muss, auch der Weg bis hierher. Doch Aberglaube kann auch manchmal positiv sein;er verdrängt Unsicherheit und Zweifel -Zweifel, von denen ich Stunden zuvor durchaus gefangen war.

reve unten2

In der 2. Seillänge

Eigentlich wollten wir hier ja am Petit Colonne de Marcia eine schon vorhandene Route, die Westverschneidung klettern. Aber noch bevor wir beim Zustieg die letzten, bizarr geformten Larisciokiefer und ausgebrannten Baumleichen hinter uns gelassen hatten, zog mich dieser plattige, dreieckige Pfeiler in seinen Bann. Des öfteren blieb ich stehen, Blicke tasteten sich eine imaginäre Linie empor, setzten an kompakten, risslosen Stellen immer wieder neu an, um nach einigen Versuchen unvermittelt abzustürzen auf die Schrofen vor meinen Füßen, ich trottete dann weiter –unser Ziel war ja die Westverschneidung. Doch als wir diese dann einsahen, konnte uns ihr Anblick nicht so recht begeistern. Stattdessen rekapitulierten wir, was wir an Klettermaterial mitführten fünf Haken, ein Hammer und ein mittleres Klemmkeilsortiment ist zwar nicht gerade viel, sollte aber füreinen nicht allzulangen Rückzug auf jeden Fall reichen.

Somit war die Entscheidung zugunsten eines Versuchs am Pfeiler gefallen. Während wir dann zurückstiegen zum projektierten Einstieg an seinem Fuß wurde mir klar, dass sich mit unserer "Ausrüstungsfülle" wenigstens die Frage nach dem Erstbegehungsstil schon beantwortet hatte. Es würde, ob wir wollten oder nicht, das Spiel nach den klassischen Regeln sein - ohne Bohrhaken und Belagerungszustand -, und wir nahmen die Aufforderung zu diesem Spiel an. Eine einladende Einstiegsrampe verdrängte schließlich unsere restlichen Bedenken, löste letzte Hemmungen und bescherte uns eine ungeduldige Anseilprozedur –wir brannten darauf, in unseren korsischen Traum einzutauchen, seine Geheimnisse zu lüften.

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die steile Verschneidung nach dem kniffligen Quergang,  bei der Wiederholung ´87

Nun stehe ich hier auf dieser Leiste. Obwohl ich auch an ihrem anderen Ende nur einen äußerst mäßigen Haken unterbringen kann, vertraue ich weiter unserem Routenarchitekten -und einem weit entfernten, aber guten Klemmkeil. Nach einigen tastenden Versuchen kann ich dann tatsächlich die erfolgbringende Kletterkombination durch die problematische, kompakte Wandstelle enträtseln und eine Rissspur gewinnen. Der Weg ist also auch hier da, nur nicht so einfach vom Fels abzulesen wie in der folgenden langen und steilen Verschneidung .Diese wird zwar von Wülsten abgeschlossen, sehr überrascht bin ich aber nun nicht mehr, dass auch diese sich leichter überlisten lassen, als es von unten den Anschein hatte; der Glaube an unsere Führe ließ einfach nichts anderes erwarten. Nur noch ein kurzer, seichter Riss trennt jetzt meinen Stand vom Ende der Hauptschwierigkeiten; der Traum ist fast Wirklichkeit, die Spannung lässt nach und Siegesstimmung könnte sich allmählich breitmachen, doch da fällt ein Wermutstropf en in meinen Freudenbecher. Irmis Einstellung zum Klettern ist hauptsächlich von lockerem, sorgenfreien Genießen und weniger von Selbstbestätigungsdrang und Schwierigkeitsfeteschismus geprägt. Meine Anspannung hat sich wohl auch auf sie übertragen und das  Sichern hat gestresst. So bereiteten ihr deshalb die letzten eineinhalb Seillängen -  eher immer  etwas über ihrer Grenze kletternd - keine Freude mehr, mir aber ein schlechtes Gewissen beim Nachsichern. Sie ist ziemlich erledigt und genervt, als sie am Stand ankommt und ich dann auch noch in den ersten Metern der nächsten Länge meine Probleme habe. Da das Gelände danach offensichtlich wirklich leichter wird, löst sich das zwar schnell. Trotzdem ist sie momentan, nachdem wir dann den Gipfelgrat erreicht haben, insgesamt mehr erleichtert, es hinter sich zu haben, als stolz auf den zurückgelegten Weg. Deshalb fehlen die Schwingungen der vollkommenen Harmonie und richtige Begeisterung kann sich ohne Resonanz nicht entzünden. So hat es die nachmittägliche Schwüle und der ausgeprägte Durst leicht, die eigentlich angebrachte Hochstimmung zu ersticken; der Gipfel wird zur lästigen Pflichterfüllung auf dem Weg zurück zu den Trinkflaschen am Einstieg und der Durst zu unserem Begleiter.

Erst später, im Laufe der nächsten Stunden und Tage, erkennen wir den Wert des Geschenkes, das der Berg für uns bereitgehalten hat. Sowohl Schönheit und Charakter der Kletterei als auch Stil der Begehung kommen doch recht nahe an das Bild heran, das ich mir von einer idealen Neutour gemacht habe und lassen uns die Badegumpen des Ascotals in satter Zufriedenheit auskosten –bis wir wieder der nächsten Idee hinterherjagen.