4hofers

Wolfis Alpinseiten:
Bilder
Stories
Infos
Links
Aktuelles

BuiltByNOF
 Wahnsinn

Restonicatal - namenloser Klapf über der Bergerie Grotelle - Südwand -
“der helle Wahnsinn”, 6+ - 1. Beg. 08/87

Große, harte Tropfen prasseln auf Schultern und Arme, massieren und erzeugen ein prickelndes Gefühl auf der Haut. Das Wasser, das über das Gesicht herunterläuft, lässt sich mit der Zunge umleiten und rinnt wohltuend durch die trockene Kehle. Wenn man mit halb zugekniffenen Augen hinaufspäht, umschließt ein Regenbogen den Gesichtskreis. Gut 80 Meter höher zerstäubt der Bach in einen Vorhang verschieden großer Tropfen, hinter dem sattgrüne, vollgesogene Moospolster im Streiflicht vor schwarzem Fels kontrastieren. Abwechselnd stehen wir unter der überdimensionalen Dusche und holen uns dann wieder auf einem sonnenaufgeheizten ,glattgeschliffenen Granitblock neue Lust aufs kühle Nass. Nach einer halben Stunde verschwindet dieNachmittagssonne hinter einem Bergrücken und beendet so den krönenden Abschluss eines Restonica Traumtages.

Pfeiler_kl

an diesem namenlosen Pfeiler waren wir am Vortag aktiv. In der Plattenwand und selbst in der markanten Verschneidung keine Begehungsspuren - je 5 Sl Neuland mit Zustiegszeit unter 1h.

Begonnen hatte er, als wir am Morgen unseren Biwakplatz bei der Bergerie Grotelle verließen, noch ehe die Fahrzeugschlange der Tagesausflügler den Parkplatz überflutete. Jeder von uns vier sucht sich seinen eigenen Weg zwischen Blöcken, Platten und dem typischen, kurzen Stachelgras hindurch den Hang hinauf. Gestern schon, nachdem wir über eine markante, aber jungfräuliche Riesenverschneidung auf einen namenlosen Pfeiler geklettert waren, inspirierten uns zwei schöne Felstürme zu Gedankenkletterspielen. Aus dem Netzwerk der Linien, von denen die Türme so übersponnen wurden, fi1terten wir am oberen Turm nach und nach eine Aneinanderreihung feiner Risse heraus, die jedoch durch mehrere plattige Unterbrechungsstellen mit einigen Fragezeichen versehen war.
Je höher wir nun heute auf dem Weg zum Wandfuß kommen, je näher al so die Stunde der Wahrheit heranrückt, desto bedeutsamer erscheinen diese Fragezeichen: „Wie gehen die seichten Diagonalrisse im unteren Teil, welcher der Parallelrisse ist der bessere, kann man die Risse wechseln und wo, was erwartet uns in der Platte im Mittelteil, wie lässt es sich mit Keilen und Normalhaken sichern?“.

Immer deutlicher verspüre ich dieses bekannte, kribbelnde Spannungsgefühl und bereitwillig nehme ich da die Gelegenheit zur Ablenkung wahr, die der Formenwettstreit einiger vorgelagerter bizarren Felszacken mit den knorrigen, teils ausgebleichten Gerippen vereinzelter Larisciokiefern darstellt.

Recht langsam und zäh kriecht der Drehmomenthaken unter den Hammerschlägen in den Riss und steht schließlich ganz auf. Die Hakenöse schaut noch deutlich weiter aus dem Fels, als mir im Anbetracht der sich verlierenden Rissspur und damit dem vorläufigen Ende von Sicherungsmöglichkeiten lieb ist. Das Tritt- und Griffangebot erweist sich dann auch einen Meter höher schon so dürftig, dass ich mich lieber wieder zum Haken zurückziehe.
Dabei hatte es so gut angefangen. Nachdem in der ersten Seillänge neben regelmäßig auftretenden Keilmöglichkeiten auch das Granolit eine ausgesprochen interessante und kletterfreundliche Kleinstrukturierung aufwies, vernahmen dann Irmi und Jochen am ersten Stand verwundert meine Kommentare zum Beginn der zweiten Seillänge.

Wahnsinn2

Jochen vor der “Wahnsinnsstelle” in der 2. SL

Diese steigerten sich von "gut" und "schön" über "toll" und "interessant" bis zu "voll trickreich" und "absolut stark”. Auslösend dafür waren auftauchende Leistchen, Felsnoppen einige Griffmöglichkeiten im angedeuteten seichten Riss, dazwischen eingestreute Tafonihenkel sowie Platzierungsmöglichkeiten für Stopper und Friends. Doch nun fehlen mir einfach noch einige Meter in eine schon sichtbare Tafoniggufel, zum rettenden Stand.

„Geradeaus scheint es ja kaum machbar, aber vielleicht geht's etwas weiter links? Drei, vier delikate Reibungstritte, dann finden sich wieder ein paar Löchlein und Leistchen, die mich wieder besser weiterbringen – allerdings nun auch schon ein ganzes Stück vom Haken weg. Den Weg in die Tafonigufel versperrt nun noch ein  letzter, steiler Aufschwung. An ihm entdecke ich aber zwei vorstehende, faustgroße Knollen. Diese lösen nicht nur dieses Problem, sie entlocken mir schließlich noch einen weiteren Kommentar und geben so gleichzeitig der Tour ihren Namen; "der helle Wahnsinn".

Fast alle weiteren Fragezeichen lösen sich in schöne, aber  erstaunlich problemlose Kletterei auf, lediglich eine glatte Verschneidung im Mittelteil überrascht uns nochmals mit einigen pikanten Reibungs- und Spreizstellen. Danach leiten wieder gutgriffige Risse und Wandstellen etwas leichter, aber kurzweilig und genußreich hinauf zu einer Terrasse kurz unterm Gipfel. Während ich dann Irmi den letzten schwereren Riss nachsichere, habe ich Zeit, den Weiterweg zu betrachten. Dieser bietet nun endgültig leichtes Gelände, die Spannung fällt ab und macht so Platz für andere Empfindungen. Aber es ist nicht überschäumende Freude und eine kleine Portion Stolz, der uns erfüllt, als wir vier in der Gipfelscharte dann wieder versammelt sind, vielmehr lassen uns Durst, trockener Mund, Müdigkeit und schmerzende Zehen den Gipfel als lästige Pf1ichterfüllung erscheinen und den Abstieg als Qual. Keine Hochstimmung verkürzt uns die Rinnen und Schluchten des Rückweges, keine Begeisterung drängt nach Mitteilung, zum Gespräch. Fast ärgere ich mich auf dem Rückweg zu den Rucksäcken über meine Stimmung, dieses Erlebnis hätte wirklich mehr verdient gehabt.
Doch nachdem wir am Einstieg unsere Trinkflaschen geleert haben, verirrt sich immer öfter ein Blick hinauf in "unsere" Wand. Wo am Morgen noch Fragezeichen blieben entstehen nun Erinnerungen an begeisternde Kletterstellen, verleiten zum Bleiben und Träumen. Doch das Wissen um den Wasserfall zieht uns dann schließlich hinab, dem perfekten Finale entgegen.