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 Sonnengesang

Sonnengesang

Landshut, 22.Nov ´84:

Ein blasses Blau schimmert durch die Nebeldecke. Doch die tiefstehende Sonne kann die Schwaden nicht nur andeutungsweise durchdringen. Ich fröstle in der kalten Nebelluft, doch das Blau ruft Assoziationen mit hellem. sonnenwarmem Fels hervor. Ich höre den zentimeterdicken Reif auf der Isarbrücke nicht mehr knirschen unter meinen Schritten und der Verkehrslärm dringt nicht in mein Bewusstsein vor –vor meinem geistigen Auge steht ein Teil unserer Traumwand, durch den wir vor ein paar Tagen einen neuen Weg finden konnten und meinen Gedanken klettern einen direkteren, idealen Einstieg zur schon begangenen Route. – Phantasien konkretisieren sich zu Plänen, Erinnerungen verjüngen sich zu Vorfreude.

Freipitz, 24.Nov. ´84:

Die Sonne scheint endlich besser in die Wand, noch schräg zwar, aber sie erwärmt gleichermaßen Fels, Körper und Gemüt. Der spontane Aufbruch am Tag zuvor, der zauberhafte Mondscheinaufstieg zur Biwakgufel, der kalte, durchdringende Wind beim Weg zum Einstieg und die ersten 2 Seillängen der klassischen Südwandroute mit kalten, gefühllosen Fingern sind schon Vergangenheit. Doch während Robert sichtlich angetan von der Schönheit unserer ersten neuen Seillänge* unter einem Dach zum Stand herüberklettert, bin ich schon wieder von der Anspannung des ungewissen Weiterwegs gepackt.

Nach dem Umbau des Standplatzes schleiche ich über eine sich allmählich verlaufende Rampe nach links, doch mangels Sicherungspunkte verschiebe ich meinen Start in die darüber ansetzende kompakte Wand und inspiziere stattdessen einen bauchigen Überhang, der uns den Zugang zum weiterführenden Riss versperrt. Der sichtbare, gute Griff am oberen Rand des Wulstes bleibt allen Aufstehversuchen zum Trotz unerreichbar* und so finde ich mich nach einem Kurzvortrag von Robert über das Setzen von Bohrhaken wieder draußen am Ende der Rampe und klettere an ein paar Erosionslöchern in die kompakte Wand hinein, bis sich zwei brauchbare Tritte finden. Als ich dann den Bohrer ansetze und die ersten zaghaften Hammerschläge ausführe, rechne ich eigentlich nicht damit, den Haken fertigzubekommen, ohne aus dem labilen Gleichgewicht zu kippen. Doch im selbem Maße, wie mein Wadenspanner zunimmt, fühle ich mich doch immer sicherer hier und in den Bohrpausen kann ich irgendwie die ganze Szene aufnehmen; den schräg verlaufenden Bogen des Seiles 8m hinunter zum Stand, Robert geduldig am Stand, unter ihm die Restseile frei im Wind baumelnd, darunter das menschenleere, schon verschneite Hochkar.

Auch mit dem beruhigenden Haken bleibt dann zwar der Angriff nach oben stecken*, ein Versuch nach rechts jedoch wird die Ouvertüre zu einer begeisternden Seillänge, die mich in höchste Klettereuphorie versetzt: Trickselei an Löchern und Käntchen, der Riss, mit Klemmkeilen garniert, eine Verschneidung mit wie für Kletterer angebrachten Tritten und Griffen und eine schöne Rampe zum bequemen Stand.

Unsere Seligkeit ist perfekt, nachdem wir nach zwei weiteren schönen Seillängen genau von unten an den Stand stoßen, zu dem wir vor einer Woche hereingequert waren. In Hochstimmung schmücke ich das schon bekante 40 Meter Schrägdach mit Friends und erst die hinter Föhnfischen verschleierte, schwach werdende Sonne und der auflebende Wind erinnern uns in den folgenden Plattenseillängen daran, dass im November der Kletterhimmel rasch vergänglich ist. Deshalb verzichten wir auf die letzten 2 Seillängen der Originalroute und nützen die Gelegenheit, die Wand über die klassische „linke Südwand“ zu verlassen.

Nach kurzem zitterndem Gipfelaufenthalt, dem Abseilen und Hinabeiern über die vereisten und verschneiten Mergelschrofen der Freispitzscharte lässt die Anspannung, in einer abgeschiedenen, weglosen und frühwinterlichen Hochgebirgswelt unterwegs zu sein, allmählich nach. Jetzt trennt uns nur noch ein 2 – Stunden- Hatscher von der Sicherheit und den Annehmlichkeiten der Zivilisation, aber auch vom Alltag und den Verpflichtungen das Tal- Ichs. Ein Teil von uns jedoch verbleibt die nächsten Wochen noch im sonnenwarmen Kalk unserer Traumwand.

 

* Anmerkungen mit ein paar Jahren Abstand:

    §Im Jahr darauf begingen wir noch einen eigenständigen direkten Einstieg, nicht mehr über die linke Süd, man kommt dann von unten in diese Seillänge.

    §Es geht natürlich (und gar nicht schwieriger und mit Klemmkeil zu sichern) direkt über den Wulst. Warum wir das damals nicht gesehen haben? Schöner und exponierter ist es aber links über die Rampe. Und es geht auch vom Bohrhaken gerade hoch, aber dazu muss man ein wenig mehr wegsteigen (auf einem Bild „Impressionen vom Spitz“ sieht man die Passage ganz gut)

Schon seit Jahren trag ich mich mit der Absicht, den „Sonnengesang“ sachte zu sanieren. Vielleicht wird’s ja dieses Jahr was draus.

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